Zweitleben als Dachbahn
Hätten Sie gedacht, dass Plastikflaschen dabei helfen, Dächer abzudichten? Freudenberg Performance Materials recycelt in seinen europäischen Werken pro Tag rund sieben Millionen PET-Flaschen. Aus dem wiedergewonnen Polyester entstehen unter anderem Vliesstoffe zur Dachabdichtung.
Wenn man sich im Getränkemarkt umschaut, dominieren Plastikflaschen. Viele bekannte Marken stellten in den Neunzigerjahren ihre Produktion von Glas- auf Plastikflaschen um, da sie nicht so schnell kaputtgehen, leichter und preiswerter sind. Die meisten von ihnen bestehen aus Polyethylenterephthalat (PET), einem wiederverwertbaren Kunststoff. 93,5 Prozent der gesammelten PET-Flaschen in Deutschland – Einweg- wie Mehrwegverpackungen – werden wiederverwertet und zu neuen Plastikflaschen, Folien oder Textilfasern verarbeitet. Das Recycling entlastet die Umwelt, spart natürliche Ressourcen und Energie.
Wie gewissenhaft die Deutschen PET-Flaschen sammeln, lässt sich in der Schlange vorm Einwegpfandautomaten im Supermarkt beobachten. Man legt die Flasche aufs Förderband, der Automat scannt Strichcode und Pfandlogo, wiegt die Flasche, fotografiert sie und vergleicht ihren Umriss mit den abgespeicherten Bildern in seinem Datensatz. Werden alle Kriterien erfüllt, knirscht es kurz darauf. Ein sogenannter „Kompaktor“ hinter dem Automat zerdrückt die Plastikflasche. Dadurch verringert sich ihr Transportvolumen, so dass mehr wertvoller PET-Rohstoff transportiert und wiederverwertet werden kann. Mehrwegflaschen werden dagegen von Hand aussortiert: Sie lassen sich noch bis zu 25 Mal wiederbefüllen.
Leider ist die Flaschenrückgabe nicht überall so selbstverständlich wie in Deutschland: Weltweit haben weniger als die Hälfte aller PET-Flaschen ein Zweitleben. Oft landen sie als Abfall auf Müllkippen oder im Meer – und überdauern dort. Eine PET-Flasche zerfällt erst nach 450 Jahren. Die Flaschen vermengen sich im Wasser mit anderem Kunststoff – Trinkbechern, Besteck, Zahnbürsten oder Kosmetiktuben – zu riesigen Müllstrudeln. Seevögel und Meeresschildkröten halten die Plastikteile für Nahrung und verschlucken sie. Der angeschwemmte Abfall vermüllt Inseln und Strände.
15 Mal um die Erde
Dabei lassen sich Kunststoffflaschen sinnvoll wiederverwerten. Freudenberg Performance Materials (FPM) recycelt in seinen Werken im norditalienischen Novedrate, im süditalienischen Pisticci und im französischen Colmar pro Jahr rund 2,5 Milliarden PET-Flaschen. Alle aneinandergelegt, würden diese 15 Mal um die Erde reichen. Mit dem Bau der Anlagen wurde FPM zum Recycling-Pionier.
Aus den Plastikflaschen stellt das Unternehmen unter anderem Vliesstoffe für wasserdichte Dächer, Wärmedämmungen, Möbelpolster und Geotextilien her. Die produzierten Materialien bestehen zu 100 Prozent aus recyceltem PET in gleicher Qualität wie Neuware.
Wertvolle Kunststoffkrümel
Jeden Tag wandelt das Recyclingwerk in Novedrate rund drei Millionen PET-Flaschen aus Sortieranlagen in ganz Europa in Polyester Vliesstoffe um. Laster liefern die Flaschen als je 400 bis 600 Kilo schwere, drahtverschnürte Ballen an. Zuerst werden an den Recycling-Bändern alle Fremdstoffe von Detektoren aussortiert wie Deckel, Etiketten, PVC oder Gummi. Dann wäscht die Anlage die Flaschen und zerkleinert sie zu sogenannten „Flakes“, winzigen Kunststoffkrümeln. Diese werden geschmolzen und zu Fasern extrudiert. In einem mehrstufigen integrierten Zyklus entsteht daraus ein vielseitig einsetzbarer, einfach zu verarbeitender Polyestervliesstoff, der in einer Vielzahl von verschiedenen Anwendungen benutzt werden kann, z.B. in Kleidung- und Haushaltsmarktsegmenten.
In der Bauindustrie verwenden wir ihn vor allem als Trägermaterial, das wir dann an unsere Kunden weiterverkaufen, um wasserdichte Bitumenmembranen für Dächer herzustellen“, sagt Lucio Pasini, Leiter Business Development und Strategisches Marketing bei FPM Construction Division. Das Vliesstoffträgermaterial nutzt Glasfaserfilamente, um den Vlies in Längsrichtung zu verstärken: Dadurch sind die Dachbahnen dehnfähig und stabil zugleich und halten selbst extremer Hitze stand. Das ist wichtig, da das Material im Freien hohen Temperaturschwankungen ausgesetzt ist.
Das Gedächtnis der Dachbahn
Die Kombination der Flexibilität von Polyester und der Stabilität von Glas ermöglicht eine hervorragende Lauffähigkeit, insbesondere bei hohen Temperaturen und beim Einsatz auf Hochgeschwindigkeits-Bitumenproduktionsstraßen. Darüber hinaus verleiht es der Bitumenmembran eine hervorragende langfristige Dimensionsstabilität und Beständigkeit. Die Verwendung von Glasverstärkungen eliminiert auch das Phänomen des thermischen Gedächtnisses: Einmal auf Dächern aufgebracht, unterliegt die Membran keinem Schwund durch Temperaturschwankungen.
Die Bitumendachbahnen halten im Durchschnitt mehr als 20 Jahre. Anschließend werden beschädigte Dächer vollständig erneuert oder der Schadenspunkt repariert. Dies stellt einen wichtigen Vorteil dieser Technologie gegenüber anderen Abdichtungssystemen dar, insbesondere bei Instandhaltungsarbeiten. Abfälle von Bitumendachbahnen können von den Herstellern recycelt werden, indem die Bitumendachbahn zu Pulver gemahlen wird. Dieses kann als Rohstoff verwendet werden, was die Nachhaltigkeit des Produkts weiter verbessert.
Weniger Abfall, Wasser und CO2
Mit der Wiederverwertung von PET-Flaschen als Vliesstoff für Dachbahnen tragen wir dazu bei, den Verbrauch natürlicher Ressourcen in der Baubranche zu verringern“, sagt Lucio Pasini. „Neue Rohstoffe durch recyceltes Polyester in gleicher Qualität zu ersetzen, bedeutet weniger Abfall, 50% weniger Wasserverbrauch und 50% weniger CO2-Emissionen gegenüber der Verwendung von neuem Polyester.“
Statt Meere zu verschmutzen, bekommen die Plastikflaschen ein zweites Leben als Industrieprodukt. Die PET-Flasche, aus der vor kurzem noch Wasser getrunken wurde, dichtet heute Dächer ab und schützt Gebäude vor Feuchtigkeit.